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Schlusswort zum Jahr 2022

Es ist wieder ein Jahr vergangen. Kaum zu fassen, wie schnell das ging. Ich nehme, wie im vergangenen Jahr, diesen Tag zum Anlass, eine Art öffentlichen Tagebuch- (oder eher „Jahresbuch“-)eintrag zu schreiben. Wen das Vorher nicht so in seinen Bann zieht, sollte sich zumindest das Jetzt ansehen und die resultierenden Lehren. ;)


I. Das Vorher


Das Jahr begann, trotz Verbot, vielerorts wie immer - mit Feuerwerk. Neujahrswünsche, Vorsätze und viele Erwartungen türmten sich in Hinblick auf das Jahr. Im Winter war es mir nicht besonders gut ergangen, trotz der Freude über das Erreichen der Volljährigkeit. Seit einiger Zeit plagte mich ein unerklärliches Gefühl im linken Bein, das auch den medizinischen Kräften Rätsel aufgab. Nach dem fünften oder sechsten Arztbesuch ohne Ergebnis musste ich es daher als somatoforme Störung abtun. Aus Angst verschlimmerten sich die „Symptome“ jedoch immer weiter, irrationale Ängste erwuchsen daraus. Von Kehlkopfkrebs über Nervenkrankheiten und andere unheilbare Leiden dachte ich, alles zu haben. Ich bin froh, in dieser Zeit ganz besonders von meinen engsten Freunden unterstützt und beruhigt worden zu sein. Dennoch lehrte mich diese Zeit eines: wie zerbrechlich das sonst so sichere Lebensgefühl sein kann und wie viel mehr man es daher wertschätzen sollte.


Somit startete das Jahr für mich nicht unbedingt angenehm. Auf der anderen Seite gab es jedoch gute Nachrichten, denn langsam nahm das Impfen gegen Covid-19 Fahrt auf. Zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nach Priorisierungsgruppen eingeteilt. Dazu kamen immer wieder Verwirrungen mit den Regelungen zum Schulbetrieb, schlecht für mich und meine Mitschüler, wo das Abitur kurz bevor stand. Zu Beginn des Sommers besserte sich nicht nur mein Gesundheitszustand, sondern auch, dank teils harter Arbeit, mein Notendurchschnitt. Ich versuchte, aus den Abiturprüfungen herauszuholen, was nur ging. So verbesserte ich mich von 2,3 auf schlussendlich 1,8. Für mich ein Riesenerfolg, der gebührend gefeiert wurde.


Im Sommer drehte es sich insbesondere um die Uni-Bewerbungen und Jobsuche. Der Einzelhandel wollte sich mir nicht erbarmen. Durch eine Facebookanzeige wurde ich jedoch auf eine freie Stelle als Barkeeper in Lübben aufmerksam. Der Arbeitgeber - David Hoffmann - ist ein alter Bekannter meiner Eltern, der sich sowohl im Spreewald als auch in der Berliner Barszene einen Namen gemacht hat. Ich arbeitete gleichzeitig in einem Hotelrestaurant, in dem ich bereits in den Jahren zuvor angestellt war. Eine sehr nervenaufreibende und zunehmend unschöner werdende Arbeit. Dahingegen kam mir die Arbeit in der „Bar“ - einer kleinen Holzhütte am Lübbener Kahnhafen - fast wie Urlaub vor. Selten hatte ich so freundliche Gäste und einen so spendablen Arbeitgeber erlebt. Was für ein Glück! Und das war noch nicht genug, denn meine beste Freundin arbeitete nur wenige Meter weiter. Ab und zu half ich auch auf einem Sportplatz aus, im Wohnort meines besten Freundes, bei dem ich dann auch übernachtete.


So schnell, wie das Geld im Sommer verdient war, verabschiedete es sich jedoch wieder von mir. Dennoch bereue ich es nicht. Ein neues Telefon kann man sich nach drei Jahren mal erlauben und den ersten Urlaub allein sollte man sich auch nicht entgehen lassen. So ging es für meinen besten Freund und mich nach Rom. Ein Reiseziel, das lange diskutiert wurde und sich am Ende gegen Stockholm durchgesetzt hat. (Welches ich dennoch irgendwann gern besuchen möchte.)


Der Urlaub in Rom war herrlich. Das warme Wetter, die Sonne, eine geschichtsträchtige Stadt. Mittendrin zwei gerade volljährig gewordene. Selten habe ich eine Zeit so sehr genossen wie in Italien. Es gab vieles zu sehen, vieles zu essen und eine Menge zu Lachen. Ich bin dankbar für jede Sekunde dieser Reise. An einem unserer letzten Tage dort aßen wir in einem Restaurant, in dem wir wenige Tage zuvor bereits einmal waren. Zur Ironie der Situation war eine russische Familie ebenfalls dort, die auch beim letzten Mal dort aß. Diese hatte ein Kind dabei, das mit einem Smartphone alles - aber wirklich alles - fotografierte. Unbehelligt davon versuchten wir unsere Pizza und Salat zu essen und unterhielten uns, als wir plötzlich von der Seite auf deutsch angesprochen wurden. Eine junge Dame aus Baden-Württemberg war ebenfalls allein in Rom und wurde unerwartet zum Teil unseres Abends. Wir unterhielten uns so gut, dass wir die ganze Nacht in Rom verbrachten, erst im Restaurant, dann in einer Bar. Leider aber mussten wir auch irgendwann zurück nach Deutschland.


Dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Zusagen aller Universitäten, auf denen ich mich beworben hatte, öffneten mir die Tür zu vielen schönen Städten. Ich entschied mich letztendlich für die Humboldt-Universität und landete in Berlin. Eine Wohnung dort zu finden, hatte ich im Vorfeld schon fast ein Jahr mit meiner besten Freundin versucht. Es war unmöglich. Sie zog also nach Lübben, ich blieb vorerst bei meiner Familie. Durch einen Kontakt meines Vaters jedoch hatte ich das große Glück, eine Wohnung in Köpenick zu bekommen. Und so zog ich noch am selben Tag, an dem ich mir die Wohnung angesehen hatte, um. Durch einen weiteren Kontakt meines Vaters gelang ich zu einem Job in der Nähe vom Bahnhof Ostkreuz. Wieder ein sehr entspannter Laden, den ich allein mit dem Koch versorgte. Mit der Verschärfung der Pandemiemaßnahmen wurde die Arbeit aufgrund sinkender Besucherzahlen leider etwas unregelmäßig, weswegen ich aktuell mache einem anderen Job suchen muss; auch wenn ich es sehr schade finde, da mir die Arbeit dort sehr viel Freude bereitet.


II. Das Jetzt


Nun bin ich also Berliner, irgendwie. Die Uni völlig fremd und in ihren Strukturen furchtbar verwirrend, in der Stadt kannte ich kaum jemanden. Alle, die mich gut kennen, wissen jedoch von meinen Onlinedating-Eskapaden, die mich regelmäßig in die Existenzkrise treiben. Tatsächlich gestaltet sich die Partnersuche sehr schwer, wenn man von vornherein auf sein Gewicht reduziert wird. Obwohl man meinen sollte, die queere Szene sei offen und freundlich, ist meist leider das Gegenteil der Fall. Nach mehreren Enttäuschungen fasste ich also den Entschluss, etwas zu ändern. Denn es war ebenfalls kein Geheimnis, dass ich mich mit meinem Körper schon lang nicht sehr wohl fühlte, auch (aber nicht ausschließlich) wegen oben genanntem.


Ich begann mit dem Sport und einer harten Ernährungsumstellung auf Rohkost. Jeden Tag mindestens 4km laufen, dazu Yoga. In den ersten beiden Wochen verlor ich über 3kg. Das ist verhältnismäßig wohl nicht viel und liegt auch gewöhnlichen Gewichtsschwankungen zugrunde, aber auch mein Gemütszustand änderte sich. Ich fühlte mich wach, belebt, selbstsicherer. Umso ärgerlicher war es für mich, dass diese gute Entwicklung unterbrochen wurde, als es mir einige Zeit nicht gut ging.


Dennoch lasse ich mich nicht entmutigen. Ich schaue mit kritischem Blick auf 2022. Ich habe einige Pläne. 2021 ist mir bewusst geworden, wie viel Zeit ich damit verschwende, nichts zu tun oder weniger wichtigen Dingen viel zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zu viel nachzudenken. Das Gefühl für mich selbst verloren zu haben. Die falschen Prioritäten zu setzen. Meine Zeit für andere zu opfern, wenn ich sie selbst brauchte. Daher möchte ich im neuen Jahr vor allem diese Dinge bessern. Ich möchte mich auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Das sind in erster Linie ich und meine Freunde / Familie, nicht irgendwelche unbekannten. Bei all dem, was ich zu geben habe und so gern ich das auch tue, musste und muss ich lernen, dabei nicht nur an andere zu denken. Ich möchte nicht mehr mit wehmütigem Blick der Vergangenheit hinterhersehen. Ich möchte neugierig und entschlossen vorangehen, um glücklich auf das Geschehene zurückzusehen. Dabei etwas für meinen Körper zu tun, ist kein Gefallen den ich mir leiste, sondern eine längst überfällige Entschuldigung an mich selbst. Ich möchte mich nicht mehr mit Sehnsucht nach einem anderen Spiegelbild anschauen, mich ständig mit anderen vergleichen und bewerten lassen. Ich möchte zufrieden sein können und mich wohlfühlen. Ich möchte mich selbst aufbauen können und die Welt aus einem neuen Winkel betrachten, der nicht rein zynisch und negativ behaftet ist. Meine Schwächen dahingehend zu erkennen war der erste Schritt. Sie zu bekämpfen wird der schwierigste, längste und lohnendste Schritt zugleich. Ich habe dieses Jahr große Schritte in die Reife und Selbstständigkeit gemacht, doch habe auch gemerkt, wo ich noch wachsen und lernen muss.


Ich danke allen an meiner Seite, bin dankbar für alles Gute, das 2021 mit sich brachte und für die Lehren, die ich aus den weniger guten Zeiten ziehen konnte. Jetzt wird es Zeit, nach vorn zu sehen. 2022.




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